Die verborgene Macht des Zinseszinses

Zinseszins. Klingt irgendwie grau und fad. Nach 40 Jahren am Sparkassenschalter. Unsexy.

Auf der anderen Seite schwärmen Investment-Legenden wie Warren Buffett davon. Albert Einstein wird immer wieder (wenn auch nicht eindeutig belegt) das Zitat zugeschrieben, der Zinseszins sei das achte Weltwunder.

Hm. Das klingt schon spannender, oder?

Ob es das allerdings auch wirklich ist – oder eben doch nur ein Fetisch für Erbsenzähler und Sparbuchanleger – schauen wir uns in diesem Beitrag mal näher an.

Hinweis: Für Eilige und Lesefaule sind unter der Rubrik "Der schnelle Happen" die Kernaussagen zusammengefasst.

1. Was ist der Zinseszins?

Der Zinsezins beschreibt die Zinsen, die der Zins selbst wieder abwirft.

Das heißt?

Für die Freunde der Mathematik gilt: Verzinstes Kapital inklusive Zinseszins = Anlagekapital x (1+ Zinssatz ./. 100)n, wobei der Zinssatz als Prozentzahl eingesetzt wird und n der Anzahl an Jahren entspricht.

?

Für alle anderen – den Alligator eingeschlossen ? – schauen wir uns das mal in aller Ruhe im Beispiel an!

Wenn Du 1.000 Euro zu einem Zinssatz von 10 Prozent pro Jahr anlegst, hast Du am Ende des Jahres 100 Euro mehr – plus 10 Prozent eben. Im zweiten Jahr errechnen sich die Zinsen aber nicht mehr aus den ursprünglichen 1.000 Euro, sondern aus 1.100 Euro (1.000 ursprünglich plus 100 Zinsen). Du bekommst also auch auf die 100 Euro Zinsen wieder 10 Euro neue Zinsen.

DAS ist der Zinseszins.

Für’s zweite Jahr macht das dann schon 110 Euro an Zinsen, also ein Guthaben von 1.210 Euro (1.000+100+110).

Im dritten Jahr gehst Du nun von 1.210 Euro aus, für die es 121 Euro Zinsen gibt, also 1.331 Euro.

Im vierten Jahr ergeben die 10 Prozent aus 1.331 Euro schon 133,10 Euro, insgesamt daher 1.464,10 Euro.

Im fünften Jah…

Ich glaube Du weißt, worauf das ungefähr rausläuft.

Nach zehn Jahren hast Du eben nicht zehn Mal zehn Prozent auf die 1.000 Euro bekommen. Das wären nämlich dann insgesamt 2.000 Euro (10×100). Durch den Zinsezins kommst Du bei 2.593,74 Euro raus.

Das sind satte 30 Prozent mehr als in der Rechnung ohne Zinseszins!

Je mehr Zeit ins Land zieht, desto heftiger wirkt sich die Macht des Zinseszinses aus.

Nach 20 Jahren wären aus Deinen ursprünglichen 1.000 Euro bereits 6.727,50 Euro geworden. Gegenüber 3.000 Euro ohne Zinseszins. Gut 120 Prozent mehr durch den Zinseszins!

Nach 30 Jahren, wenn sich unter Deinem Hemd ein imposanter Bierbauch wölbt und die Haare nur noch in grau und weiß sprießen, ist der Unterschied nochmal beeindruckender:

17.449,40 Euro mit Zinseszins. Gerade mal 4.000 Euro ohne.

30 Jahre später sorgt dieser winzig kleine Zinseszins, der uns damals im zweiten Jahr ganze 10 Euro eingebracht hat, für eine mehr als vierfache Rendite.

Ein sagenhafter Unterschied.

Vielleicht fragst Du Dich jetzt, was Du mit der Info anfangen sollst. Zinsen für Sparbuch und Tagesgeldkonto gehören doch (quasi) der Vergangenheit an.

Nun…der Clou ist: Der Zinseszinseffekt lässt sich ohne Weiteres auf andere Felder der Geldanlage übertragen.

Was das im Einzelnen heißt, zeigt Dir der Alligator im nächsten Schritt.

2. Wie kann ich vom Zinseszins profitieren?

Schön und gut. Einen Zinssatz von 10 Prozent pro Jahr bekommst Du heute vielleicht noch auf Anleihen von schrottplatzreifen Unternehmen. Für ein Tagesgeldkonto ganz sicher nicht.

Wenn Du Glück hast und Deine Bank das Guthaben dort überhaupt noch verzinst, dann vielleicht mit 0,1 Prozent oder sowas in dieser Richtung. Dein Guthaben von 1.000 Euro aus dem Beispiel oben würde damit nach zehn Jahren…

*trommelwirbel*

…sage und schreibe 1.010,04 Euro betragen! Wenn das mal keine Kracher-Rendite ist! ?

Zehn Euro in zehn Jahren. Dass Du damit das Wettrennen mit der Inflation nicht einmal annähernd gewinnen kannst, ist klar.

Tot ist der Zinseszins damit für Dich aber natürlich trotzdem nicht.

Sonst wäre es auch nicht sehr sinnvoll, jetzt einen Beitrag darüber zu schreiben. ?

Wie kannst Du Dir dann noch die Power des Zinseszinseffekts zu Nutze machen?

Mit Aktien und ETFs.

2.1 Zinseszins durch Aktien und ETFs

Besonders schön wird das bei Dividenden-Aktien deutlich, also den Aktien, die einen Teil Ihres Gewinns wieder an die Aktionäre ausschütten. Nehmen wir an, Du hast Dir E.ON-Aktien zu 10 Euro das Stück in Dein Depot gelegt. E.ON zahlt jährlich ca. 50 Cent Dividende pro Aktie, was einer Dividendenrendite von 5 Prozent entspricht.

Damit kannst Du nun Deine tausend Euro zu 5 Prozent pro Jahr „verzinsen“ lassen. Von den 50 Euro, die auf diese Weise auf Dein Konto fließen, kannst Du wieder neue Aktien kaufen, die selbst wieder Dividenden abwerfen.

Kommt Dir das Konzept bekannt vor?

Genau. Auch das ist der Zinseszins. Allein durch die Dividende. Entwickelt sich das Unternehmen gut, wird in der Regel zusätzlich auch der Kurswert der Aktien ansteigen. Ein weiterer Rendite-Boost!

Komplett gleichsetzen lässt sich das mit einer festen Verzinsung natürlich nicht. Weder im Positiven noch im Negativen. Denn einerseits sind Dividenden nicht in Stein gemeißelt. In einer schwierigen finanziellen Lage kann es sein, dass das Unternehmen die Dividende vorübergehend streicht oder zumindest kürzt. Auf der anderen Seite versuchen auch viele Unternehmen Jahr für Jahr die Dividende zu erhöhen, sodass Deine „Quasi-Verzinsung“ sogar noch ansteigt!

So hat übrigens auch E.ON beschlossen, seine Dividenden bis 2022 jedes Jahr um 5 Prozent steigern zu wollen. Prozent, nicht Prozentpunkte. Die Dividende soll also nächstes Jahr nicht von 5 auf 10 Prozent angehoben werden, sondern eher von 5 auf 5,25 Prozent. Aber das nur am Rande..

An einer Dividenden-Aktie lässt sich dieser „Zinseszins 2.0“ zwar besonders schön erklären. Die einzige Möglichkeit, ihn zu nutzen, ist sie aber nicht.

Auch bei Wachstumsaktien, die entweder gar keine oder nur eine sehr geringe Dividende ausschütten, wirkt der Zinseszinseffekt. Nur eben mehr im Verborgenen. Während starke Dividendenzahler oft keine allzu großen Wachstumsmöglichkeiten mehr sehen und daher einen großen Teil vom Gewinn ausschütten, lassen Wachstumsunternehmen das Geld lieber im Unternehmen. Damit es dort arbeitet.

Der Gewinn fließt hier eben in verschiedene Investitionen, die das Unternehmen größer und besser machen sollen. Das ist auch eine Form der Wiederanlage! Und wenn ein Unternehmen größer und besser wird, freuen sich die Aktionäre eben über einen (stark) steigenden Aktienkurs.

Ob Du’s glaubst oder nicht: Auch das ist das Wirken des Zinseszinses.

Der entscheidende Faktor ist nämlich die Zeit.

Wie wir’s oben in dem Beispiel gesehen haben. Nach zehn Jahren war der Unterschied schon deutlich erkennbar: 30 Prozent mehr durch den Wiederanlageffekt. Nach 20 Jahren: Schon Über 100 Prozent mehr! Nach 30 Jahren: Ein Unterschied von über 400 Prozent. Wow.

Das heißt: Um die Macht des Zinseszinseffekts für Deinen Vermögensaufbau wirken zu lassen, brauchst Du vor allem eins:

Geduld.

Wer geduldigt auf den Zinseszins setzt, steht am Ende selten mit leeren Taschen da.

„Hin und her macht Taschen leer!“

Börsenklassiker

Vermeide hektisches Kaufen und Verkaufen oder ständiges Wechseln der Anlagestrategie. Mach Dir im Vorfeld Deine Gedanken, kaufe danach ein – und bleib dabei. Außer natürlich, Du hast bei der Aktienauswahl ein faules Ei erwischt und siehst Deine Felle davon schwimmen (Beileid an alle Wirecard-Aktionäre!). Viele unerfahrene Anleger verlieren ein kleines Vermögen durch die ganzen Ordergebühren, die das Hin-und-her-Getrade verschlingt.

Wenn Du jetzt soweit verstanden hast, dass der Zinseszinseffekt auch für Dividenden- und Wachstumsaktien zählt, wird es Dich vielleicht gar nicht verwundern, dass es bei ETFs nicht viel anders aussieht.

Das Gegenstück zur Dividenden-Aktie ist der ausschüttende ETF. Da ein (Aktien-)ETF in mehrere Einzelaktien investiert, nimmt der ETF-Anbieter natürlich auch deren Dividenden ein. Handelt es sich um einen ausschüttenden ETF, so werden die Dividenden anteilig an die ETF-Anleger weitergegeben. Damit kannst Du sie einfach wieder anlegen, genau so wie wir das eben zur Aktie besprochen haben.

Daneben gibt es noch thesaurierende ETFs. Die kannst Du Dir so ähnlich wie eine Wachstums-Aktie vorstellen. Die eingenommenen Dividenden von den Einzelaktien werden nicht an die ETF-Anleger ausgezahlt, sondern verbleiben im Fonds. Dieser legt sie direkt wieder in neue Aktien an. Im Ergebnis also eine automatische Wiederanlage. Ideal zum Ausnutzen des Zinseszinseffekts!

(Wenn Du Dich allgemein noch ein bisschen ins Thema „ETF“ einlesen oder Dein Wissen wieder auffrischen möchtest, kannst Du das hier gerne tun.)

Alles klar soweit?

Mit Aktien und ETFs kannst Du den Zinseszins auch heute noch fleißig für Dich arbeiten lassen.

Wie genau?

Einfach weiterlesen…?

2.2 Die Umsetzung – Fallstrick Gebühren

Das mit dem Wiederanlegen der Dividende ist – gerade bei kleineren Anlagesummen – gar nicht immer so einfach. Denn für das Kaufen neuer Aktien werden natürlich wieder Ordergebühren fällig, die Deinen schönen Zinseszins schmälern.

Für dieses Problem bieten sich zwei verschiedene Lösungswege an:

  • Entweder Du sammelst eine Weile lang Dividenden an, bis Du wieder so viel übrig hast, wie Du normalerweise in einer Order investierst. Auf diese Weise fallen die Ordergebühren nicht mehr ins Gewicht als sonst auch. Allerdings kann das gerade am Anfang eine Weile dauern, wenn die Dividenden bei Dir eher tröpfeln als sprudeln. In dieser Zeit liegt das Geld dann wieder ungenutzt herum, sodass Du den Zinseszins vielleicht nicht optimal ausnutzen kannst.
  • Alternativ bietet sich daher die Nutzung von Sparplänen an. Mit Sparplänen kannst Du in bestimmten Zeitabschnitten das eingehende Geld automatisiert wieder anlegen. Bei vielen Brokern geht das schon ab 25 Euro. So kannst Du auch kleine Dividenden mühelos jeden Monat reinvestieren.

Zum Wiederanlageproblem kommst Du natürlich gar nicht erst, wenn Du allein auf thesaurierende ETFs setzt (siehe oben).

3. Dein Takeaway – was Du mitnehmen solltest

Nachdem Du den Zinseszins jetzt etwa besser kennengelernt hast (und eine gute Chance besteht, dass Dir das Wort langsam zu den Ohren rauskommt), gibt Dir der AnlageAlligator zum Abschluss noch mal das Wichtigste mit auf den Weg:

  • Wer die Stärke des oft wenig beachteten Zinseszinseffekts kennt, hat gegenüber vielen anderen Anlegern einen großen Vorteil. Da seine Wirkung umso größer wird, je mehr Zeit Du ihm gibst, kannst Du gar nicht früh genug mit der Geldanlage anfangen. Am besten ist es, wenn schon Deine Eltern zu Deiner Geburt für Dich angelegt haben! Da das leider meistens nicht der Fall ist, bietet Dir das Starterpaket einen guten Ausgangspunkt für Deine Geldanlage.
  • Zwar gilt: Je größer der (nach überlegter Auswahl!) anfänglich angelegte Betrag, desto vermögender wird Dich der Zinseszins machen. Aber auch aus einer kleinen Anlage kann im Laufe vieler Jahre ein stattlicher Betrag heranwachsen. Verstärke diesen Effekt, indem Du Deine Anlagen immer wieder aufstockst. Sparpläne können dafür sorgen, dass Du auch trotz fehlender Motivation oder Disziplin am Ball bleibst.
  • Setze Deine Anlagestrategie konsequent um und übe Dich in Geduld. Häufiges Hin- und Hertraden bringt am Ende nur Deinen Broker zum Grinsen. Ein thesaurierender ETF ist ein besonders leichtes Mittel, um den Zinseszinseffekt gut auszunutzen. Wenn Du auf ausschüttende ETFs oder Einzelaktien setzt, sei Dir der Gebührenfalle bewusst.

So, geschafft!

Du weißt jetzt, dass man den Zinseszins, wenn er auch auf den ersten Blick eher wie eine graue Maus daherkommt, auf keinen Fall unterschätzen darf. Wenn Du Ihn bei Deinen Anlageentscheidungen konsequent berücksichtigst, kann er Dich auf Sicht von Jahrzehnten um ein Vielfaches vermögender machen.

Eigentlich ziemlich sexy, oder?

Der schnelle Happen ?

  1. Unter dem Zinseszins versteht man diejenigen Zinsen, die auf die Zinsen selbst anfallen.
  2. Wenn er auch am Anfang winzig klein erscheint, kann er über viele Jahre hinweg zu enormen Unterschieden bei der Rendite führen.
  3. Trotz Null- bzw. Negativzinsen auf Sparbücher und Tagesgeldkonten kannst Du die Kraft des Zinseszins noch immer für Dich arbeiten lassen – durch langfristige Anlagen in Aktien und ETFs.
  4. Um zu vermeiden, dass Du beim Wiederanlegen Deiner Erträge in die Gebührenfalle tappst, können Sparpläne hilfreich sein.
  5. Der Schlüssel zur optimalen Ausnutzung des Zinseszins liegt in einer geduldigen und kontinuierlichen Geldanlage. Wenn Du nicht so recht weißt, wie Du das Ganze angehen sollst, wirf doch mal einen Blick ins Starterpaket!

(Titelbild: „Kleingeld nah“ von Christoph Scholz auf Flickr – (CC BY 2.0))

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